Der Österreichisch-italienische Grenzübergang ist wenig spektakulär. Nur ein kleines Metallschild verkündet den Wechsel von Tirol in sein südliches Geschwisterchen. Auf den ersten Metern ist noch nichts von einem Landschaftswechsel zu erkennen. Nur wird ab jetzt ein “Ciao” anstatt “Grias di” wildfremden Leuten zugerufen.
Unsere ersten Wanderkilometer in Südtirol führen uns von Sillian über Innichen nach Sexten. Hauptsächlich über teerlastige und talnahe Fahrradwege, da sich das Bergwetter weiterhin äußert wechselhaft gibt. Die völkerwanderungshafte Bewegung der italienischen Radler nach Österreich, macht deren Begehung nicht gerade amüsanter. Innichen ist dafür sehr schön und wird prompt als Zwischenstopp genutzt. Zusätzlich zu einer Erfrischung brauchen wir Kartenmaterial, um unsere weitere Route durch die Dolomiten auszukundschaften.
Nach deren Kauf werden die letzten Kilometer nach Sexten bei einem Regen/Sonne Mix abgespult. Dort angekommen, erbarmen sich die Wolken und wir können einen ersten Blick auf die schroffen Gesteinsformationen werfen. Angekommen in der gemütlichen Pension Geiger, genießen wir am nächsten Tag das üppige Frühstück. Welches glücklicherweise meilenweit von der italienischen Zwieback-Variante entfernt ist.
Hinauf zur Drei-Zinnen-Hütte
Frisch gestärkt geht es anschließend durch das Fischleintal empor in Richtung Drei Zinnen Hütte. Das Wetter zeigt sich gnädig und schenkt uns zur Feier des Tages ein paar Sonnenstrahlen. Da sich die dolomitische Bergwelt von ihrer kalkhaltigen Schokoladenseite präsentiert, laufe ich andauernd Gefahr, den Blick viel zu oft vom Wanderweg zu nehmen. Obwohl mich diese Wanderung eigentlich eines Besseren belehrt hat.
Nach dem steilen Aufstieg, legen wir die letzten Meter zum Rifugio auf breitem Weg zurück. Die Spitzen der namensgebenden Berge lassen sich schon erahnen. 10 Minuten später stehe ich neben der Hütte und kann mein Glück kaum fassen! Die Drei Zinnen – oder Tre Cime – sind in voller Pracht und von Kopf bis Fuß zu bewundern. Seid langer Zeit war es mein großer Wunsch gewesen, diese berühmten Erhebungen einmal mit den eigenen Augen zu sehen. Umso schöner das es auf dieser Wanderung geklappt hat!
Die nächsten Tage wollen wir mit einer Durchschreitung der Sennes-Fanes-Gruppe verbringen. Daher ist eine Übernachtung auf der Drei-Zinnen Hütte geplant. 100 Lager- und 60 Zimmerplätze sollen hier für Wanderer, Kletterer und andere Besucher bereit stehen. Also wird wohl auch ohne Reservierung ein Bett für uns dabei sein, denke ich mir. Ein völlig naiver Gedanke, wie sich nach dem Gang zur Theke herausstellt.
Ausgebucht und neue Pläne
„Also wir sind an den Wochenenden für die nächsten 3 Monate komplett ausgebucht“ – lautet die knappe Antwort der jungen Frau an der Kasse auf meine Frage nach zwei freien Plätzen. „Egal ob ihr AV Mitglieder seid oder nicht!“.
Ich erinnere mich an den Alpenvereinsgrundsatz, als Mitglied nicht von einer AV Schutzhütte abgewiesen werden zu können. Die anschließende Diskussion lasse ich jedoch schnell versanden. Zum einen, da es sowieso aussichtslos erscheint und zum anderen haben wir auch erst 13:00 Uhr. Um diese Zeit kann man auch noch weiterziehen. Aber an diesem Samstag scheint ganz Italien in die Dolomiten gefahren zu sein. Jede Hütte in erreichbarem Radius ist die nächsten zwei Tage vollständig ausgebucht. Und als wäre es nicht genug, gesellen sich plötzlich leichter Schneefall und starker Wind zu der Misere. Ohne bessere Lösung steigen wir also wieder nach Sexten ab und klingeln erneut bei Familie Geiger und bitten um ein Zimmer.
Anschließend wird der ursprüngliche Plan über Bord geworfen und sich stundenlang über zahlreiche Karten gebeugt. Die Lösung unserer Routenprobleme: Von Prags soll es über den gleichnamigen Wildsee zur Schlüterhütte und dem Dolomiten Höhenweg Nummer 1 gehen. Von dort streben wir eine erneute Besteigung des Piz Boe an. 2014 sind wir im Rahmen unserer ersten Alpenüberquerung schon einmal diesen Abschnitt gewandert. Der weitere Weg über die Rosengarten Gruppe bis nach Bozen scheint somit einfach zu realisieren. Top motiviert starten wir also in den nächsten Tag!
Dolomiten Höhenwege
Die Wanderung zum vielfotografierten Pragser Wildsee wird jedoch unter der Kategorie Pflichtetappe einsortiert. Was ab dort folgt, ist aber feinstes Pfadgeschlängel. Nach einigen Gaumenfreuden auf der Fojedöra Alm, steigen wir ab nach St. Vigil, wo kurz vorher das Zelt aufschlagen wird. Nach einer im wahrsten Sinne des Wortes schrägen Nacht, brechen wir am folgenden Morgen sehr früh auf. 1800 Aufstiegshöhenmeter und etwa 23 Kilometer stehen auf der Tagesordnung.
Nach der unliebsamen Bekanntschaft mit der Bundesstraße SS244, geht es extrem steil in Richtung Peitlerkofel und der Schlüterhütte. Dem schweißtreibenden Aufstieg folgt eine mehr als aussichtsreiche Pause auf einem Hochplateau. Zeit das kondenswassernasse Zelt und die Schlafsäcke zu trocknen. Neben der Sennes-Fanes-Gruppe präsentieren sich die Puez-, sowie die Sella Gruppe in atemberaubendem Licht.
Das letzte Mal als ich am Peitlerkofel stand, gab es leichten Schneeregen und dicke Nebelsuppe. Das scheint das heutige Wetter alles wieder gut machen zu wollen. Selbst die kleine Capanna Fassa, auf der Spitze des Piz Boe, ist von hier schon auszumachen.
Wiedersehen mit der Schlüterhütte
Während uns bei dem anstrengenden Aufstieg niemand begegnete, überholen wir nun die Wandergruppen im Dutzend. Am Ziel angekommen fühlen uns im geschäftigen Hüttentreiben direkt wohl. Trotz ihrer Größe, mochte ich das 70 Personen fassende Rifugio sofort. Die rustikale, aber aussichtsreiche Gaststube hat es mir schon vor 3 Jahren angetan.
Nach dem perfekt durchorganisierten Abendessen, genieße ich noch den schon fast kitschig schönen Sonnenuntergang hinter der Hütte. Wie schon beim letzten Mal, ist das Rifugio Genova bis zur Oberkante gefüllt und die letzten Gäste müssen auf Matratzen im Flur nächtigen.
In die Sella Gruppe
Bis zur Oberkante füllt mich auch das Frühstück am nächsten Morgen. Das Völlegefühl verschwindet aber ebenso wie der morgendliche Hochnebel nach einer halben Stunde. Somit wird der Blick auf den vor uns liegenden Weg und die eindrucksvolle Roa-Scharte frei. Ich kann mich gar nicht satt genug sehen an den markanten Felstürmen und ihrem hellen Gestein. Selbst die knackige und konditionell fordernde Etappe bis zum Rifugio Piscardu heute, mindert meine Begeisterung keineswegs. Vielmehr freue ich mich über die stetig wachsende Ausdauer und körperliche Leistungsfähigkeit auf dieser Wanderung.
Nach einigen Kletterpassagen durch eine eindrucksvolle Schlucht, liegt der letzte Anstieg des Tages am Nachmittag hinter uns. Die 5 Minuten zur Piscardu Hütte schlendern wir mehr als alles andere und freuen uns auf die Zeit in dem sehr herzlichen Rifugio. In mitten der Felstürme des Sella Massiv liegt es quasi in bester Lage auf knapp 2600 Metern.
Während wir auf das Abendessen warten, hat sich in 2 Kilometern Luftlinienentfernung eine dicke Gewitterzelle über dem Grödnertal eingenistet. Blitzeinschläge, Donnergrollen, Starkregen und Regenbögen lassen sich von der Terrasse am besten mit einem kühlen Bier genießen.
Da die Etappe Tags zuvor recht fordernd war, lassen wir es am nächsten Morgen italienisch entspannt angehen. Da nur die 3 Stunden entfernte Capanna Fassa das Ziel ist, können wir uns heute viel Zeit lassen. Der üppige Cappuccino der Piscardu Hütte bekommt kurze Zeit später auf dem Rifugio Boe die Gesellschaft eines Caffé Latte.
Gipfelsturm auf dem Piz Boé
2 Stunden später kann von Entspannung aber keine Rede mehr sein. Auf dem 3152 Meter hohen Gipfel des Piz Boe herrscht Festzeltstimmung. Unzählige Tagestouristen drängen sich auf dem überschaubaren Gipfelplateau und der kleinen Terrasse der Hütte. Jeder will das perfekte Bild und/oder Selfie vor der versammelten Gipfelkulisse der Dolomiten knipsen. Einsame und entschleunigende Bergwelt sieht anders aus. Aber warum beschweren, wenn man selbst hinauf gelaufen ist.
Im Lager der Capanna legen wir uns daher kurzerhand aufs Ohr und lassen den Trubel ein Stockwerk tiefer abklingen. Gegen 16:00 Uhr sind 95% der Selfiejäger schon wieder zur Bergstation der Pordoi Bahn abgestiegen und der Geräuschpegel bewegt sich nun wieder auf angenehmen Niveau. Im warmen Licht der Nachmittagssonne zeigen sich die Berge nun von ihrer schönsten Seite.
Die helle Mondlandschaft des Sella-Plateaus leuchtet in sandigen Farben vor den blauen Silhouetten der umringenden Bergketten. In der Ferne im Osten ist sogar der Ortler schon zu erahnen. Im Westen schauen wir auf den langen Weg, den wir bis hier hin mittlerweile gekommen sind. 2-3 Stunden sitzen wir einfach in der Sonne und schauen fast wortlos in die unendlich scheinende Ferne.
Egal in welche Richtung man blickt: Berge, Berge, Berge. Kann es überhaupt noch schöner sein?
Morgenstund hat Gold im Mund
Der Sonnenuntergang bleibt uns aufgrund einer beharrlichen Wolke verwehrt. 9 Stunden später wird als Entschädigung aber ein Aufgang erster Klasse serviert. Welche ein Farbenspiel zu dieser frühen Stunde an den Berg Silhouetten, Schleierwolken und dem Himmel zu beobachten ist, macht mich immer wieder sprachlos. Die anfänglich kalten Lila- und Blautöne verschieben sich innerhalb kurzer Zeit auf die andere Seite des Farbspektrums. Als sich die Sonne zwischen den schmalen Streifen zwischen Bergketten und leichter Wolkendecke schiebt, scheint alles in warmen Orange zu erstrahlen. Während visuell so einiges passiert, empfängt uns der Morgen auf akustischer Seite mit absoluter Stille. Als wolle er den Fokus allein auf die bildlichen Eindrücke des Sonnenaufgangs legen.
Während wir gefühlt jede Minute eine andere Lichtstimmung bewundern, liegen die anderen Gäste noch auf den wenig bequemen Matratzen. 2 Stunden später ist es wieder vorbei mit der Stille des Morgens. Die tägliche Geschäftigkeit der Berghütte hat nun endgültig Einzug gehalten.
Doch auch als wir den Abstieg nach Canazei über das Pordoi Joch antreten, zeigen sich Marmolada, Civetta und Co. in unbeschreiblicher Schönheit. Erst jetzt weiß ich, was ich bei dem letzten Besuch bei Neuschnee und Nebel verpasst habe. 1750 Meter weiter unten, schlagen wir am Nachmittag das Zelt auf und resümieren über die tollen Erlebnisse der letzten Wochen und Monate.
Der Rosengarten lockt
6 Wochen sind mittlerweile seid dem Start in Wien vergangen. Kaum zu fassen wie schnell die Zeit vergeht. Ewig habe ich mich auf die Dolomiten gefreut und nun muss ich mich schon fast zu ihnen umdrehen. Grund genug den Moment noch mehr zu genießen.
Das heftige Gewitter in der Nacht lässt mich die Entscheidung verfluchen, dass Tarp ohne Innenzelt höher abspannt zu haben. Während ich die Blitze aus dem Schlafsack beobachte, spritzt mir der Wind kontinuierlich etwas Regen durch den Spalt zwischen Boden und Zeltplane ins Gesicht. Der Schlaf war somit mäßig erholsam…
Der nächste Tag macht die feuchte Nacht aber schnell vergessen. Die Rosengarten Gruppe und die Kölner Hütte ruft. Wie so oft sind wir während den schweißtreibenden Aufstiegen alleine unterwegs. Die aussichtsreichen Höhenwanderwege teilen wir uns aber anschließend mit zahlreichen Tagestouristen, die den Seilbahnaufstieg gewählt haben.
Nach einer kurzen Rast auf der Rotwandhütte, folgt eine Querung durch die eindrucksvollen Süd- und Westwände des Rosengartens. Gut 1,5 Stunden lang geht es fast ohne Höhenunterschiede über Blockwerk, Geröll und schmale Pfade. Ein Wanderweg genau nach meinem Geschmack! Es ist mal wieder bestes Wetter und wie genießen die weite Aussicht bis in die Bozener Tiefebene und das Vinschgau.
Unseren letzten Dolomiten Abend verbringen wir mit den typischen Leckereien der südtiroler Küche auf der aussichtsreichen Terrasse der Kölner Hütte. Die folgenden Tage geht es jedoch bergab.
Vorallem höhenmetermäßig. Aber auch der Weg bis nach Bozen ist im Vergleich zu den vorherigen Tagen von weniger Highlights geprägt. Ziemlich erschöpft von der eindrucksvollen Dolomiten Durchquerung kommen wir in der südtiroler Landeshauptstadt an. Wir entscheiden uns somit für 2 Pausentage, um unsere Kräfte und die Ausrüstung wieder auf Vordermann zu bringen. Jedenfalls Letzteres hat gut geklappt…
Soweit für den sechsten Teil des Wander Berichtes unserer Alpenüberquerung von Wien bis nach Nizza. In den nächsten Wochen kommen dann die anschließenden Teile. Momentan befinden wir uns auf dem GR5 in Frankreich. Nur noch 3 Tage trennen uns von Nizza und dem Mittelmeer. Ein unbeschreibliches Gefühl…
Möchtest Du mehr über unsere Wanderung erfahren, dann schau doch einfach auf Facebook oder Instagram vorbei. Dort versuche ich alle 1-2 Tage ein paar Bilder und kurze Updates zu der Tour hochzuladen. Sofern das Internet mitspielt natürlich.
Zu den anderen Artikeln dieser Alpenüberquerung:
- Etappen 1 – 6: Der Start in Wien
- Etappen 7 – 13: Erste Gewitter
- Die Sache mit dem Knöchel…
- Etappen 14 – 24: Der Salzsteigweg – Eine Hassliebe
- Etappen 25 – 32: Der Südalpenweg
- Etappen 33 – 41: Von Sexten nach Bozen – Die Dolomiten-Durchquerung
- Etappen 42 – 58: Vom Vinschgau bis ins Piemont
- Etappen 59 – 72: GTA – Von Forno bis Talosio
- Etappen 73 – 78: Rocciamelone – Der höchste Punkt der Reise
- Etappen 79 – 94: Die Ankunft in Nizza
- Alle Informationen zu der Alpenüberquerung zu Fuß
Wie immer ein toller Bericht :)
Was mir noch fehlt – wie seid ihr von Sexten zum Pragser Wildsee gewandert? Seid ihr über das Pustertal hin oder wie?
Warum seid ihr nicht von der Auronzo Hütte zum Campingplatz abgestiegen beim Misurina See u dort weiter?
LG
Anna
Hi Anna,
Wir haben uns für die schnellste Route nach Prags entschieden und den Straßenhatscher
durchs Tal gewählt ;)
Auronzo Hütte war leider auch voll.
Viele Grüße,
Alex
Ja das die Auronzo Hütte ist kann ich mir gut vorstellen – aber ich meinte den Campingplatz unten beim See. Also nicht links sondern rechts der Mautstraße folgend runter. Aber eigentlich egal über vergossene Milch zu sprechen ;) aber ich habe gerade gelesen – noch zwei Etappen !!!!! Wahnsinn! :) Ich bin so begeistert von eurer Tour!
Ah ok, ja den hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Aber vielleicht wird es ja nochmal zu voll auf der Drei-Zinnen Hütte ;)
Jetzt nur noch eine Etappe :D
Viele Grüße,
Alex