Eine Alpenüberquerung zu Fuß ist kein Sonntagsspaziergang. Besonders nicht, wenn man sich auf die 550 km lange Strecke über den Traumpfad von München nach Venedig begibt. Es gilt tausende von Höhenmetern und viele Kletterpassagen an ausgesetzten Felsen in alpinem Gelände zu überwinden. Und das über mehrere Wochen. Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, alpine Erfahrung und eine gute Kondition sind Voraussetzung für die lange, aber wunderschöne Tour.
Vielen Wanderern ist diese Art der Anstrengung einfach eine Nummer zu viel. Ich dachte mir: “Jung, nimm dir diese Fernwanderung jetzt vor, wo du noch jung und fit bist, denn im Alter kannst du so eine Belastung mit Sicherheit nicht mehr auf dich nehmen.”
Doris und Helmut haben mich eines besseren belehrt.
Lesetipp: Den Hauptartikel zum Thema Alpenüberquerung zu Fuß findest Du in dem in dieser Box verlinkten Beitrag. Dort stelle ich Dir 10 Routen über die Alpen vor und gebe außerdem viele Tipps, wie Du deine Tour optimal planst. Viel Spaß beim Lesen!
Die Senioren Wandern auch mit 72 noch
Die lebenden Beweise, dass dies nicht so ist, haben wir persönlich getroffen. Wir waren gerade auf dem Weg von Nieder Vintl zur Kreuzwiesenhütte. Auf dieser Etappe geht es ohne Unterbrechung 1300 Höhermeter steil – ok, verdammt steil – bergauf. Eine halbe Stunde waren wir unterwegs, als wir vor uns auf ein Pärchen trafen, dass es sich auf einem Baumstamm bequem gemacht und eine kurze Pause eingelegt hatte. Beide waren deutlich älter als wir, ich hätte sie auf Ende fünfzig geschätzt, fragte aber natürlich nicht nach. Wir unterhielten uns ein wenig über das Wetter und den steilen Pfad der vor uns lag. Kurzerhand entschieden wir uns auch eine kleine Pause einzulegen.
Nach ein paar Minuten machten sich die beiden langsam, aber beharrlich weiter auf den Weg nach oben. Mit einer stoischen Ruhe und Gelassenheit wanderten Doris und Helmut der Kreuzwiesenhütte entgegen. Als wir sie Abends in der Gaststube wiedertrafen, erfuhren wir, dass Beide auch auf dem Weg nach Venedig waren. “Beeindruckend mit Ende 50” sagte ich.
“Nett von dir, aber wir haben schon 72 Jahre auf dem Buckel.” wurde ich korrigiert. Moment mal….Wie bitte???
In meiner jugendlichen Kurzsichtigkeit habe ich mich in diesem Alter auf einem Schaukelstuhl sitzend gesehen, wie ich auf der Veranda eines netten Häuschens am See hin und her schaukle und die Enten füttere. So oder so ähnlich. Aber ich war mir zu 110% sicher, dass ich dann keine Alpenüberquerung mehr in Angriff nehmen kann. Höchstens mit dem Auto….Ich habe mich zum Glück eines Besseren belehren lassen.
Die beiden Eheleute sind schon seid ihrer Jugendzeit begeisterte Wanderer und haben schon duzende Wandertouren- und Urlaube in den Alpen unternommen. 10 Jahre zuvor haben sie den Alpenüberquerung von München nach Venedig sogar schon einmal auf sich genommen. Sie wussten also was da auf sie zukommt. Das Wandern fit hält war mir ja bekannt, aber das es einem solchen Jungbrunnen gleicht war mir neu. Allerdings mussten sie natürlich ein paar Dinge beachten, wie sie uns erzählt haben, denn so fit wie früher sind sie nun auch nicht mehr.
Mit diesen Tipps haben die beiden es auch noch mit 72 zu Fuß über die Alpen geschafft:
- Go Light: Im Senioren Altern kann man einfach aus körperlichen Gründen keinen 20 oder 15 kg schweren Rucksack mehr tragen (Meiner Meinung nach muss man das aber auch in jungen Jahren nicht!). Deswegen haben sie auch konsequent alles aussortiert was unnötig oder zu schwer ist. Schlussendlich kamen sie so auf ein Rucksackgewicht von nur 7 kg inklusive einem Liter Wasser und etwas Proviant. Wie das geht? Ganz leicht (haha)!
- Lass Dir Zeit: In fortgeschrittenem Alter kann man die ganz langen und schwierigen Etappen einfach nicht mehr am Stück wandern. Daher macht es Sinn sich Zeit zu lassen, die Etappen aufzuteilen und mehrere Pausentage einzulegen. So gibt man dem Körper mehr Zeit sich zu regenerieren und muss sich nicht so sehr verausgaben. Hier findest Du eine Übersicht der schwierigsten Traumpfad Etappen.
- Abkürzen erlaubt: Besonders die letzten Flachland Etappen bis nach Venedig ziehen sich gewaltig. Einige davon haben die Beiden abgekürzt und sind mit dem Bus gefahren. “Für den Quatsch habe ich einfach zu wenig Lebenszeit übrig” kommentiere Helmut die langen Hatscher unter der sengenden Sonne auf den italienischen Straßen.
Die beiden haben insgesamt 43 Tage für die Wanderung vom Marienplatz in München zum Markusplatz in Venedig gebraucht.
Ich finde diese Leistung der beiden einfach unglaublich. Sie haben mir großen Mut gemacht, dass ich dieses Hobby hoffentlich auch noch sehr lange aktiv erleben kann. Wenn ich mit 72 Jahren nur halb so fit bin wie Doris und Helmut, dann kann ich mich wirklich glücklich schätzen!
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